Warum «Make or Buy?» in der Digitalisierung die falsche Frage ist

«Make or Buy», Eigenfertigung oder Fremdbezug, ist eine Frage, die sich in jeder Wertschöpfungskette stellt. Doch was bedeutet sie in Bezug auf die Digitalisierung und die Beschaffung von Softwarelösungen? In seinem Artikel geht Matthias Rothen genau dieser Frage nach und kommt zu einer überraschenden Empfehlung.

Der «Make or Buy»-Entscheid wird häufig anhand einer Beurteilung vorgenommen, ob die Leistung einerseits eine Differenzierung im Wettbewerb ermöglicht («strategische Relevanz») und ob die Fähigkeit dafür andererseits im Unternehmen vorhanden / effizient aufgebaut werden kann («operative Relevanz»).

In Bezug auf Softwarelösungen beantwortet diese Perspektive die eigentliche Frage in unserer Erfahrung aber zu undifferenziert: Denn ob ein Unternehmen nun eine Lösung selbst entwickelt, entwickeln lässt oder beschafft, ist zunächst zweitrangig. Vielmehr steht die Frage nach dem Umfang des individuell entwickelten Anteils der Lösung im Zentrum: Standard-Lösungen bieten (oft zu) wenig Möglichkeit der Differenzierung; bei Individuallösungen wird das Rad zu einem grossen Teil (und oftmals unnötigerweise) neu erfunden.

Aus diesem Grund ist die Frage nicht «Make or Buy». Es geht darum, das Richtige einzukaufen und dabei die Differenzierung zum Markt am richtrigen Ort zu schaffen. Oder anders ausgedrückt: «Buy the right thing, make the difference».

Schauen wir uns das Beispiel einer Individualentwicklung an. Viele Funktionen, die eine modern Software-Lösung braucht, tragen nicht / kaum zur Differenzierung bei: Suchfunktionalität, Benutzer- und Rechteverwaltung oder Security-Mechanismen werden in jeder modernen Business-Applikation benötigt. Diese sind gewissermassen Standard. Auch anspruchsvollere Funktionalitäten, wie die Generierung und Verwaltung von Dokumenten oder das Abbilden von Prozessen in Workflow-Engines erlauben selber kaum Differenzierungsmöglichkeiten. Wenn diese von Grund auf neu entwickelt werden müssen, sind sie Kostentreiber. Erst deren Anpassung auf den Kontext des Unternehmens schafft Mehrwert.

Obiges Diagram verdeutlicht dieses Zusammenspiel nochmals grafisch und zeigt, dass die Differenzierungsmöglichkeiten bei Neuentwicklungen von Basisfunktionalitäten gering sind. Erst über Zeit ist der Nutzen hier zunehmend. Gleichzeitig steigen durch die komplette Eigenentwicklung aber auch die Risiken (z.B. dass die Basistechnologien immer den neuesten Security-Erkenntnissen entsprechen müssen).

Aus diesem Grund haben sich in der IT immer mehr Digitalisierungsplattformen resp. Frameworks (oder ein anderer Begriff für eine breit aufgestellte Entwicklungsbasis) durchgesetzt: Dies ermöglicht es den Unternehmen von einer bereits grossen Basisentwicklung zu profitieren und gleichzeitg genau dort anzusetzten, wo effektives Differenzierungspotenzial besteht. Das bringt den Vorteil mit sich, dass das Basissystem bereits voll und ganz funktionsfähig ist, da es bei unterschiedlichsten Applikationen bereits produktiv im Einsatz ist und weiterentwickelt wird. Zudem kann im Projekt auf die wichtigen Aspekte fokussiert werden, nämlich jene der Differenzierung am Markt, resp. der strategischen Wichtigkeit.

Dies bringt uns zurück zur anfangs gemachten Aussage: «Buy the right thing, make the difference»: Es geht darum, sich am Anfang auf das richtige Framework / die richtige Plattform festzulegen, welche die auf den Kontext passenden Basisfunktionen mitbringt, um sich danach auf den differenzierenden Anteil konzentrieren zu können. Aus diesem Grund sollten sich Unternehmen die nachfolgenden Fragen stellen, um den Grad der individuell entwickelten Software zu bestimmen:

  • Welche Digitalisierungsziele verfolge ich in einem bestimmten Kontext / Geschäftsprozess? Wo möchte und kann ich mich vom Markt differenzieren (und warum)?
  • Welche grundsätzlichen Anforderungen / Erwartungen habe ich an eine entsprechende Software-Lösung? Welche der benötigten Funktionalitäten sind Standard und bieten keine Differenzierungsmöglichkeiten am Markt? Diese Elemente sollten Bestandteil der eingekauften Lösung sein.
  • Mit welchen Features kann ich Marktvorteile schaffen, entweder indem ich massgeblich Kosten senken oder Kundenerlebnisse generieren kann, welche mich von Mitbewerbern abheben? Dieser Anteil der Softwarelösung sollte indivualisiert werden können.

Sobald sich ein Unternehmen über diese Fragen im Klaren ist, kann auf dem Markt nach einer entsprechenden Software-Lösung geschaut werden. Weitere Denkanstösse dazu kann Ihnen etwa das «Kano-Modell» bieten, das in der Produktentwicklung nach Basis-, Leistungs- und Begeisterungsmerkmalen unterscheidet.

Was denken Sie? Ist «Make or Buy» in der Digitalisierung noch zeitgemäss? Ich freue mich auf Ihre E-Mail oder Ihren Anruf (+41 71 221 12 42). Selbstverständlich unterstützen wir Sie gerne mit unserer Erfahrung und Expertise, die richtigen Fragen zu stellen und diese einfach clever für Ihre Situation zu beantworten.